Ein für den Pulitzer-Preis nominiertes Buch über seine Zeit in China (Iron & Silk, 1986), zwei Romane mit Asienbezug (The Laughing Sutra, 1991, The Soloist, 1994), drei autobiografische Bücher über das Leben und Schreiben in Amerika (Lost in Place, 1995, True Notebooks, 2003, The Man in the Empty Boat, 2012) und ein Roman über die mystischen Erfahrungen einer Karmelitin (Lying Awake, 2000) – was verbindet dieses vielfältige Oeuvre, was ist der rote Faden?
Es sind allesamt Werke eines Suchenden. Seit frühen Jugendtagen will Mark Salzmann (*1959) nichts sehnlicher als inneren Frieden, der ihm jedoch nicht vergönnt ist: Depressionen und Angstzustände stehen in seiner Herkunftsfamilie an der Tagesordnung, und so ist die Beantwortung der großen Fragen des Lebens für ihn kein primär philosophisches Problem, sondern eine existenzielle Aufgabe. Mit geradezu religiöser Disziplin widmet er sich also dem Cello, der asiatischen Kampfkunst und schließlich auch dem Schreiben, ohne dabei jemals die Erleuchtung zu erlangen. Bis eines Tages sein Hund furzt.
In seinem bisher letzten, auch schon wieder mehr als zehn Jahre alten Buch, The Man in the Empty Boat, schildert Salzman eine der schwierigsten Zeiten seines Lebens: Seine beiden Töchter kommen zur Welt, er bleibt daheim und geht vollends in seiner Rolle als Familienvater auf, während sich seine Frau, die Oscar-Preisträgerin Jessica Yu, dem Filmbusiness widmet und das Vierergespann mit ihren Katzen, Fischen und anderen Haustieren finanziert. Dem Verlag schuldet er zu diesem Zeitpunkt ein Buch, für das er längst einen Vorschuss erhalten hat. Dennoch (oder deshalb?) ist er außerstande, etwas Brauchbares zu schreiben. Ein Manuskript nach dem anderen wird abgelehnt, er bekommt Panikattacken und seine jüngere Schwester stirbt. Als sich die Familie unter diesen Umständen auch noch einen Hund anschafft, dessen Manieren sehr zu wünschen übriglassen, erreicht Salzman seinen breaking point.
Was sich ein wenig nach Slapstick anhört, ist tatsächlich sehr unterhaltsam zu lesen: Mit schonungsloser Selbstironie rekapituliert Salzman die Höhen und Tiefen seines Lebensweges und die Dringlichkeit der Sinnfrage. Die Metapher des leeren Bootes steht dabei für das gleichmütig von äußeren Umständen bewegte Leben, das er ebenso in seiner neugeborenen Tochter wie auch in den Flatulenzen seines Haustiers erkennt: Alle sind sie ihres Willens nicht Herr und tun so unter allen Umständen ihr Bestes. Lässt sich das nicht auch auf ihn selbst übertragen, den panischen Autor?
Salzman ringt außerhalb der bekannten Religionen um Sinn, erweist sich in seinen Büchern jedoch als hervorragender Kenner östlicher und westlicher Traditionen. Dass er selbst aus einem atheistischen Haushalt kommt, betrachtet er als gewisse Schwierigkeit, ohne deshalb Sehnsucht nach institutionalisierter Religion zu entwickeln. So schreibt er über seine Familie:
We are faith-challenged, so perhaps it isn’t surprising that we’re vulnerable to despair. I’ve spent most of my life searching for peace of mind, but people with my credentials generally make poor spiritual seekers. Atheists, after all, are supposed to have evolved beyond the need for comforting but unverifiable beliefs. But without comforting beliefs we have no antidote for anguish, and that can be a real handicap.1
Wir sind alle glaubensbehindert, und daher überrascht es vielleicht auch nicht, dass wir anfällig für Verzweiflung sind. Ich habe den Großteil meines Lebens mit der Suche nach Seelenfrieden verbracht, aber Leute mit meinen Referenzen geben grundsätzlich schlechte spirituelle Suchende ab. Atheisten sollten sich schließlich über das Bedürfnis nach einem tröstenden, aber nicht beweisbaren Glauben hinausentwickelt haben. Aber ohne einen tröstenden Glauben haben wir kein Gegengift für den Schmerz, und das kann ein echtes Handicap sein. [meine Übersetzung]
Was Salzman biografisch im Rahmen des Atheismus bearbeitet, erkundet er in seinem 2000 erschienenen Roman Lying Awake innerhalb der Mauern eines Karmelitinnenklosters. Das ebenfalls nicht besonders dicke Büchlein handelt von Sister John of the Cross, die – wie ihr Namensgeber – eindrückliche Visionen hat. Ihre schriftlichen Aufzeichnungen verkaufen sich gut und sie gilt im Konvent als geistliche Meisterin. Doch ihre Eingebungen sind begleitet von Kopfschmerzen, die ihr fast die Besinnung rauben.
Wie sich herausstellt, verursacht ein Tumor sowohl die Visionen als auch den Schmerz. Nun steht sie vor der Entscheidung: Soll sie sich operieren lassen und ihre besondere Begabung verlieren? Salzman folgt der Nonne mit großer Empathie durch ihren Klosteralltag und beweist ein erstaunliches Gespür für die Sprache der Mystik. An keiner Stelle wird aus seiner typischen Ironie beißender Spott oder Kritik. Im Gegenteil: Er stellt seinen Humor ganz in den Dienst seiner Protagonistin, als diese z.B. in Ordenstracht zu einem Arzttermin geht: „A true habit now, Sister John thought as she glanced around the waiting room, would be a nylon jogging outfit worn over tennis shoes.“2 („Ein echter Habit, dachte sich Sister John, als sie sich im Wartezimmer umsah, wäre heute ein Nylon Jogginganzug mit Tennisschuhen.“)
Letztendlich ist auch die Karmelitin eine Suchende wie Mark Salzman, die ihren Weg mit großer Ernsthaftigkeit geht. Auch sie holen die alten Fragen in neuem Gewand auch nach Jahren hinter Klostermauern wieder ein. Als der Verlust ihrer mystischen Begabung droht, muss sie erneut für sich klären, was sie zu ihrem Eintritt bewogen hat, und ob die Beweggründe noch tragen. Und auch Sister John gelangt – wie Salzman in seinem autobiografischen Text – wieder an einen soliden Ausgangspunkt für ihr weiteres Leben. Sie allerdings ohne tierische Darmwinde.
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1 Salzman, Mark: The Man in the Empty Boat, New York: Open Road 2012, 5.
2 Salzman, Mark: Lying Awake, New York: Knopf 2000, 41.
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