Die Bibel verstehen III
Wilhelm Busch, Public domain, via Wikimedia Commons
Nein, die Bibel stammt nicht von Wilhelm Busch (1832-1908). Wahrscheinlich hätte das auch niemand so behauptet. Sie ist viel älter, hat überhaupt nicht nur einen Autor, und richtet sich auch nicht an dieselbe Zielgruppe wie beispielsweise Max und Moritz.
Trotzdem ist es mir wichtig, die Bibel einmal ausdrücklich von Wilhelm Busch abzugrenzen. Anlass dafür gibt mir die Aussage einer Frau vor vielen Jahren in einer meiner ersten Bibelgruppen. Ich hatte noch kein richtiges Konzept, wie ich die Bibel vermitteln wollte, und veranstaltete rückblickend wohl so etwas wie einen Exegese-Abend für interessierte Laien. Es ging um eine alttestamentliche Geschichte, und zumindest ich empfand das Verweilen bei jedem bunt schillernden Vers und seinen Eigenheiten als ganz wunderbar. Aus meiner Sicht waren wir fertig und hätten eigentlich nur noch beten müssen – unser Abschlussritual, das nie so recht zu meinem bibelwissenschaftlichen Vortrag passen wollte. Da stellte die Frau ihre unglaubliche Frage: “Und was will Jesus das wir jetzt tun?”
Was sollen wir tun?
Ein schlichter Satz, der mich als blutjunge Theologin aus dem nicht vorhandenen Konzept brachte. Einerseits wollte ich widersprechen: Wir sind beim Alten Testament! Es geht heute nicht um Jesus! Und außerdem hat die Geschichte auch überhaupt keine Moral! Die ist ja nicht von Wilhelm Busch! Andererseits dachte ich auch gleich: Das muss man sich schon fragen, ja. Was soll das Ganze alles mit Blick auf unser Leben, mit Blick darauf, dass jemand für uns gestorben ist damit wir hier jetzt sitzen und die Bibel in seinem Geist lesen können?
Ich habe mir damals sicher etwas aus der Nase gezogen und die Frage an die Gruppe weitergegeben. Keine einzige Antwort ist mir in Erinnerung; mir war die Stimmung dann auch irgendwie peinlich. Ohne mein exegetisches Feigenblatt stand ich ziemlich nackt da.
Vom Lesen ins Leben kommen – auch bei Gewalt?
Ich bin heute noch der festen Überzeugung, dass unterm Strich nur wenige biblische Texte so etwas wie eine klare Moral haben oder eine Handlungsanweisung beinhalten. Manche dieser Texte haben wir stillschweigend aus unserem Repertoire verbannt. Wir nehmen keine zwei Turteltauben mehr, um sie als Opfer darzubringen, ganz gleich, wie oft uns die Bibel ausdrücklich dazu auffordert.
Trotzdem will die Bibel gelebt werden, aufgeführt, aufs Parkett gebracht, wie eine Partitur. Man soll sie nicht einfach befolgen. Sie ist schließlich keine Gouvernante, die uns mit erhobenem Zeigefinger mahnt, das Richtige zu tun.
Was wäre das auch für eine Gouvernante, die uns eine Geschichte wie Genesis 34, die Rache der Söhne Jakobs an Sichem, genau in dieser Weise erzählt? Am Ende steht hier nicht die Moral von der Geschicht’. Am Ende steht die empörte und bloß rhetorische Frage der Jakobssöhne: “Durfte er unsere Schwester wie eine Dirne behandeln?”, nachdem sie gerade nicht nur den Übeltäter Sichem, sondern alle Männer seiner Stadt hinters Licht geführt, erschlagen und dann ausgeplündert haben. Wir können das heute mit Recht schrecklich finden. Der Text selbst tut das nicht.
Kriterien für gute Bibelinterpretationen
Es braucht also Kriterien für die Interpretation, die den antiken Texten genauso gerecht werden wie dem modernen Menschen. Dabei gilt es zwei Extreme zu vermeiden.
Extrem 1: Gleichsetzung Gottes mit einem längst vergangenen Weltbild
Das eine Extrem wäre, ein längst vergangenes Weltbild mit all seinen zeitbedingten Beschränkungen und Barbareien über Gott zu stellen. Wir dürfen davon ausgehen, dass Gott zu jeder Generation in einer ihr angemessenen Weise spricht und diese nach ihren Möglichkeiten festhält, was sie davon versteht. Es kann daher nicht angehen, dass ich als junge Frau im 21. Jh. die babylonische Wissenschaft vom Anfang der Welt vertreten muss oder dass mich meine Brüder eigenhändig rächen, sollte mich ein Fremder “entehrt” haben. Gott ist ewig, nicht die menschlichen Gesellschaftsformen.
Selbiges gilt auch für alle Bibelauslegungen der letzten zweitausend Jahre: Nicht alle von ihnen haben sich als inspiriert erwiesen und sind es auch heute noch wert, vertreten zu werden. Manche erzählen schlicht von längst vergangenen Zeiten.
Extrem 2: Gleichsetzung mit dem aktuellen Weltbild
Das andere Extrem wäre, die alten Texte bloß wie einen Steinbruch nach schmeichelhaften Zitaten zu durchforsten, die ich auf Glückwunschkarten und kitschige Kalender schreiben oder als Affirmationen vewenden kann – am besten in Übersetzungen, die überhaupt nichts mehr von der Sperrigkeit dieser alten Meisterwerke erahnen lassen. Dieser Ansatz verkennt genauso seine eigene Zeitbedingtheit und reflektiert sie nicht.
Die Wellnesslogik nützt nichts für ein umfassendes Verständnis der Bibel. Wahrscheinlich bleiben deshalb meistens nur Kalendersprüche übrig. Wellness bedeutet, Geld zu zahlen, damit ich einfach mal nur Kunde (König!) sein darf und nicht Mitmensch sein muss. Das ist die frohe Botschaft des Kapitalismus. Ein Buch, in dem Menschen mit Naturgewalten und miteinander um ein gelungenes Leben ringen, in dem nichts ausgespart wird – nicht Gewalt, nicht Leid, nicht die Sinnfrage – das kann man aus der Wellnessperspektive nur skandalös finden. Aber ob da nicht eigentlich das echte Leben der Skandal ist…?
Zum Blühen bringen – vom Sinn reden
Klingt “zum Blühen bringen” nach kitschigem Kalender? Blühen ist definitiv etwas Schönes; aber es ist kein Wellnessprogramm. Blühen ist das erfüllte Leben des Pflänzchens Mensch. Man könnte meinen, es gelingt am besten ohne viel Fremdeinwirkung – wenn man das Pflänzchen einfach sein lässt an seinem Ort, bei Regen und bei Sonnenschein. Aber mit dem Menschen verhält es sich eben anders als mit Pflanzen oder Tieren. Ein Pferd kann nicht unpferdisch leben. Aber ein Mensch kann unmenschlich sein – der Sinn seines Daseins verzerrt, sein Leben ein Wuchern oder Vegetieren.
Wie der Mensch wirklich blüht, beschäftigt die Menschen seit vielen Generationen; die Bibel ist ein beredtes Zeugnis ihrer Unterhaltungen. Sie hält ein paar wenige Ergebnisse fest; selten ist es eine Moral. Meistens hat man in ihr das Für und Wider aufgeschrieben. Darum ist auch mit der Bibel das Gespräch über den Lebenssinn nie verstummt, sondern um einen massiven Leuchtturm reicher geworden.
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